Mein Weg als Hebamme
In der Universitätsstadt Trondheim habe ich mit 19 Jahren, nach abgebrochenem Übersetzerstudium, entschieden, Hebamme zu werden. Im altehrwürdigen Gebäude unten im Foyer des „St. Olavs“ stand auf der einen Seite „Sykepleier“ und auf der anderen Seite „Jordmor“.
Wer weiß, ob ich es auf Deutsch überhaupt gemerkt hätte. Jordmor. Erdmutter. Das wollte ich werden. Das passte zu mir, plötzlich passte alles.
Zuhause in meiner Heimatstadt Aachen habe ich diesen Faden dann weiterverfolgt und einen Praktikumsplatz in der RWTH, im Kellerkreißsaal bekommen… für ein halbes Jahr. Mit 19 habe ich dort Händchen gehalten, denn ich hatte Zeit dazu, im Gegensatz zu den Hebammen. Bei Fruchtwasserpunktionen und allem was danach folgen kann. Und danach habe ich in Westfalen die Ausbildung absolviert. Ziemlich schrecklich, ich habe es genommen wie ich mir die Männer beim Bund vorstellte. Durchhalten. Und danach war ich frei – und ahnungs – wenn auch nicht mehr arglos. In Berlin durfte ich trotzdem anfangen. Nach 2 Jahren war klar, dass ich das mit meiner Dünnhäutigkeit nicht aushalte. Es machte irgendwie nicht genug „Sinn“, aber dafür war es zu stressig. So viel CTG. So viele Einleitungen. So viele Kaiserschnitte. Und ich? Ich hatte das Gefühl, ich kann es immer noch nicht. Da kamen die Niederlande ins Spiel. Dazu mehr auf der PerspektivwechselSeite.
Nach der Zeit in Utrecht, Delft und Rijswijk war ich endlich Hebamme und – schwanger. Und wir zogen nach Dresden. Mit den KollegInnen hier verstand ich mich so gut, dass ich mitgründen wollte, das HebammenHaus auf der Louisenstraße entstand. Eine intensive, eine gute Zeit. Mutter – und HebammeSein, es ließ sich in diesem herrlichen FrauenTrupp beides leben. Aus der Überforderung als Mutter wurde die bereichernde Zeit mit meinen Kindern, und das KursleiterinSein, auch dank Jesper Juul und Helle Jensen. Und im Sommer immer wieder Norwegen. Dort fragte mich Kjersti, ob ich nicht mal mit ihr zusammen im Trondheimer Kreißsaal arbeiten wolle? Wo sie inzwischen als Gynäkologin arbeitete. Und so habe ich auch dort meine Erfahrungen in dem inzwischen neu gebauten Uniklinikum sechs Sommer lang machen dürfen. Einen Artikel dazu gibt es auch:) s.u.
Und wieder habe ich dort eine Entscheidung getroffen: auch hier in Dresden noch einmal unter guten Bedingungen, außerklinisch, mit meinem Team in der Geburtshilfe arbeiten zu wollen. Das habe ich nun 3,5 Jahre getan und es sehr genossen. Aber ich spüre auch, dass ich es in 10 oder 15 Jahren vielleicht so nicht mehr können werde. Oder vielleicht dann nicht mehr so gern wie jetzt? Das wäre zu schade drum. Es gibt junge Kolleginnen, die den Platz einnehmen können und wollen. Und ich muss offenbar noch etwas anderes erledigen in meinem Leben…
Artikel in der Hebammenzeitschrift 2014
Geburtshilfe in Norwegen
Einblick ins Land der besten Perinatalstatistik der Welt
Seit 3 Jahren besteht mein Sommerritual darin, dass ich in der Uni in Trondheim 3 Wochen Urlaubsvertretung im Kreissaal mache. Hier kommen jährlich 4000 Kinder zur Welt, mit einer Kaiserschnittrate wie sie in Deutschland höchstens in Sachsen zu finden ist, und auch hier nicht in der Uni: 17 Prozent. Und jedes Jahr wieder denke ich am Ende meiner Zeit dort, dass ich gern weiter im Team mitarbeiten will, auch wenn ich jedes Mal am Anfang dachte, dass ich vor lauter Codes und Kabel nicht durchblicke.
Vor 22 Jahren habe ich in diesem Land, damals stand noch das altehrwürdige Gebäude der Uniklinik, entschieden, Hebamme zu werden. Vieles hat sich in der Zwischenzeit verändert. Ich habe in Deutschland meine klinische Ausbildung gemacht, wohl gemerkt, meine klinische, denn meine außerklinische in den Niederlanden erst hat mir damals das Gefühl gegeben, wirklich eine Hebamme zu sein, die diesen Titel auch ausfüllen kann. In meinem Artikel möchte ich auf die Dinge hinaus, an denen ich in Norwegen gemerkt habe, dass ich deutsch geprägt bin, denn diese Perspektive hätte ich ja nicht zuhause in Deutschland erfahren.
Das eine: Ich komme jeden Abend 22:15 zum Dienst, in ängstlicher Erwartung nächtlicher Überforderungssituationen, und entspanne mich während der Übergabe.
OBWOHL Juli ist, das ist der absolute Geburten-Peak in Norwegen, und OBWOHL ich hier quasi wieder Anfängerin bin und viele Hürden nehmen muss, bis ich z.B. eingeloggt bin im Dokumentationssystem oder bis ich erfolgreich digital den Putzdienst bestellt habe. Ich bemerke nach und nach, dass ich tatsächlich ab aktive Phase der Geburt bei der Gebärenden bleiben kann, denn außer mir gibt es noch 4 Hebammen auf meiner Seite der Abteilung und nochmal 5 auf der anderen Seite.
Koordiniert werden wir von der Hebamme, die eigens dafür im Dienst ist. Die nimmt auch die neuankommenden Frauen mit Wehen oder die Telefonate entgegen undweiß, wer wie viele Gebärende betreut, und ob sie ggf. noch kurzfristig die Hebamme von der Wochenstation dazu holen muss, damit z.B. jede eine zweite Hebamme oder zumindest eine Kinderpflegerin im Moment der Geburt an der Seite hat. Sie ist es auch, die ich in einem Konfliktfall (schwierige Naht oder CTG) um Rat und Tat frage, wenn ich mich überfordert fühle, und immer bevor ich einen Arzt anrufe. Die Gebärenden sind hier übrigens in Rote und Grüne unterteilt, Grüne sind gesunde Frauen ohne bekanntes Risiko, bei denen zum Beispiel kein CTG geschrieben wird !, und rot sind Frauen, die ein Risiko haben, worunter z.B. auch eine PDA oder Einleitung fällt. Bei einem Frühchen ist allerdings z.B. nur das Kind
„rot“, also brauche ich nur einen Kinderarzt.
Das Andere: Im Notfall erwarte ich einen Mann. Ist das verrückt? Ich stehe im OP bei einer heftigen Blutung, aber es kommt eine Oberärztin nach der anderen, und auch der 3. Hintergrund der Gynäkologie ist eine Frau. Und auch wie hier kommuniziert
wird, lässt mich staunen, und das ist es wohl, warum ich mich hier so wohl fühlen kann trotz Klinikatmosphäre. Sie haben eine klare Struktur, wie ein Team zusammenarbeitet, nicht hierarchisch, und trotzdem überhaupt nicht chaotisch. Das führt dazu, dass auch ich orientiert bin, wer gerade was macht, also kann ich mich auch effektiv einbringen. Von meiner Freundin, die hier Gynäkologin ist, erfahre ich abends beim Wein, dass sie tatsächlich regelmäßig fachübergreifend üben und auswerten, einen ganzen Tag lang, und dabei viel Spaß haben. Und am Tag nach der Blutung spricht mich die leitende Hebamme an, sie habe
gehört, dass ich bei dieser Blutung dabei gewesen sei. Wie es mir gehe. Wenn es also Priorität hat, dass es den Hebammen gut geht, dann erst und nur dann, kann es den Gebärenden gut gehen. Zurück in Deutschland steht meine Hebammen – Schwägerin im Burnout statt im Kreissaal, meine Kollegin erholt sich langsam, nachdem sie letztes Jahr in der Klinik gekündigt hatte, meine Geburtshauskolleginnen machen Sommerpause wegen der Versicherungsknebelei, und ich gebe wieder Kurse.
Ob hier nicht auch etwas besser ist? Ja, natürlich! Zum Beispiel gibt es dort quasi keine Wochenbettversorgung und solche Kurse, wie ich sie gebe, gibt es auch nicht. Und eine Hausgeburt ist noch viel exotischer als bei uns, was sicher auch an den geographischen Gegebenheiten liegt. Wie im Konsumverhalten und fehlenden ökologischen Denken, denke ich, dass die
Norweger erst erfahren werden, was sie zu verlieren haben. Da sind wir ihnen vielleicht einen Schritt voraus. Aber eigentlich kann ich nicht vergleichen, denn die Ausschnitte, die ich in den Ländern sehe, sind ja klein und sehr gegensätzlich. Mich hält es aber wach, immer mal die Perspektive zu verändern. Und das wollte ich mit eventuellen Lesern teilen.
Danke für Deine Aufmerksamkeit.